Das Projekt
Selbst in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit ist erst in den vergangenen Jahrzehnten ein breiteres Bewusstsein darüber entstanden, dass sich die einstige Kulturmetropole der Weimarer Republik nach 1933 zu einem bedeutsamen Ort kultureller Aktivitäten deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller jüdischer Herkunft entwickelt hat. Das Projekt fokussiert daher:
Berlin als Zentrum ‚jüdischer‘ Kultur
Nach der ersten Massenemigration von 1933 hatten noch etwa 1.700 SchriftstellerInnen und Intellektuelle jüdischer Herkunft Aufnahmeanträge für den Reichsverband Deutscher Schriftsteller (RDS) gestellt. Die Mitgliedschaft in diesem bildete die Voraussetzung für jede Art der Publikation im öffentlichen kulturellen Leben im NS-Deutschland. …
Nach der ersten Massenemigration von 1933 hatten noch etwa 1.700 SchriftstellerInnen und Intellektuelle jüdischer Herkunft Aufnahmeanträge für den Reichsverband Deutscher Schriftsteller (RDS) gestellt. Die Mitgliedschaft in diesem bildete die Voraussetzung für jede Art der Publikation im öffentlichen kulturellen Leben im NS-Deutschland. Das DAjAB erfasst erstmals über 1.000 Bio-Bibliographien von Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft, die nach 1933 in Berlin lebten und die nicht oder zunächst nicht aus Deutschland auswandern konnten oder mochten.
Durchaus unterschiedlichen politischen, religiösen und künstlerisch-ästhetischen Anschauungen verpflichtet, sahen sich dabei alle in Deutschland Gebliebenen zunächst mit der Frage konfrontiert, ob und wie nach einer gescheiterten Emanzipation und angesichts einer wachsenden existenziellen Bedrohung noch öffentlich gesprochen und geschrieben werden konnte oder sollte. Zogen sie eine Veröffentlichung überhaupt noch in Betracht, die nicht selten ihre materielle Existenz zu sichern half, waren sie spätestens seit den Massenausschlüssen von Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft aus der Reichsschrifttumskammer (RSK) im Frühjahr 1935 auf einen schubweise ghettoisierten und vom deutschen Kulturleben abgegrenzten jüdischen Kulturbereich verwiesen – und damit auch in ihrer schriftstellerischen Arbeit auf eine Daseinsform, die sie mehrheitlich kaum kannten.
Je länger sich die von den Restriktionen Betroffenen dem Korsett nationalsozialistischer Kulturpolitik ausgeliefert sahen und je einschneidender dessen Maßnahmen wurden, desto spürbarer veränderte sich in vielen Fällen der individuelle Blickwinkel. Nicht selten verschoben sich die in den zwanziger Jahren geäußerten künstlerisch-ästhetischen Positionen. So sprach die Nicht-Zionistin Eva G. Reichmann von einem „geistigen Umbruch in der gesamten Judenheit“ (1974, 46–47). Ausgelöst durch die historischen Ereignisse verschärfte sich nicht nur das Empfinden, einer Schicksalsgemeinschaft anzugehören, sondern ebenso die Notwendigkeit einer Sinngebung jüdischer Existenz. Der äußere, von der NS-Kulturpolitik ausgeübte Zwang eine ‚jüdische‘ Kultur zu schaffen, hatte in den folgenden Jahren seine Kehrseite in einem Vorgang, den Arnold Zweig in seiner Schrift Bilanz der deutschen Judenheit auch für die Entwicklungen im Exil als „Selbstbesinnung auf jüdische Herkunft und jüdische Zukunft“ (1934, 305) bezeichnete. Insbesondere innerhalb Deutschlands beinhaltete dies die Suche nach einem positiv formulierten, eigenen Selbstverständnis – in einem Moment, da dieses von außen vollständig in Frage gestellt war.
Veränderte künstlerisch-ästhetische Konzepte entwickelten sich vor dem Hintergrund der in einem separierten jüdischen Kulturkreis geführten ‚öffentlichen‘ Debatten. Unter dem Zwang staatlich legitimierter Rassenpolitik und Zensur – und damit unterschieden vom pluralistischen literarischen Leben der Weimarer Republik – erfassten diese Diskussionen praktisch ein ganzes literarisches Feld und verliehen der Literatur jener Jahre eine charakteristische Prägung. Sie kann heute – neben den literarischen und künstlerischen Arbeiten des Exils – als Beginn einer Literatur und Kunst gelesen werden, die auf die soziale Entrechtung, Ausgrenzung und Ermordung großer Teile des europäischen Judentums reagierte.
Eine geradezu explosionsartig einsetzende Flut von Gedichten, Romanen, Novellen, Broschüren und Zeitungsaufsätzen ist für diese Entwicklungen ein denkwürdiger zeit- und literarhistorischer Beleg. Das DAjAB verzeichnet für die von ihm versammelte Autorengruppe nicht allein deren Bio-Bibliografien, sondern macht ihre zwischen 1933 und 1938 erschienenen Bücher wieder im Volltext zugänglich. Neben etwa 30 jüdischen Verlagen, von denen sich allein 24 in Berlin befanden (vgl. Dahm 1993, 9), wurden an die 146 jüdische Zeitungen und Zeitschriften (davon 51 Gemeindezeitungen) mit z. T. umfangreichen literarischen Beilagen und Auflagenstärken bis zu 55.000 Exemplaren in jenen Jahren zu wichtigen literarischen Foren. Allein 66 dieser Presseorgane, d. h. 70 % der Gesamtzahl (ohne Gemeindezeitungen), waren in Berlin angesiedelt. Einige der wichtigsten wurden in dem von Hans Otto Horch betreuten Projekt Compact Memory – Deutsch-jüdische Literaturgeschichte im Web sowie von der Deutschen Nationalbibliothek und dem Leo Baeck Institute bereits digitalisiert. Die Bibliografien des DAjAB verzeichnen große Teile der Zeitungs- und Zeitschriftenveröffentlichungen der Berliner jüdischen Autorinnen und Autoren aus den Jahren 1933 bis 1943, die zum Teil auch über das Portal im Volltext digital verfügbar sind. Systematisch ausgewertet wurden dafür die wichtigsten der nach 1933 in Deutschland erscheinenden jüdischen Zeitungen und Zeitschriften, so u. a. Der Morgen, die C.V.-Zeitung, die Jüdische Rundschau, das Israelitische Familienblatt, das Gemeindeblatt der Jüdischen Gemeinde Berlin, das Jüdische Nachrichtenblatt. Die Aktivitäten der Jüdischen Künstlerhilfe sowie die Gründung des Kulturbundes Deutscher Juden im Sommer 1933 (im April 1935 zwangsweise in Jüdischer Kulturbund umbenannt) eröffneten dem literarischen Schaffen jüdischer Autorinnen und Autoren darüber hinaus die Möglichkeit eines institutionell geförderten, begrenzten öffentlichen Wirkens in einem zunehmend ghettoisierten jüdischen Kulturkreis im NS-Deutschland. Dieses dokumentiert das DAjAB auch durch das Verzeichnen zeitgenössischer Veranstaltungen im jüdischen Kulturkreis.
Die Materialien des DAJAB können fortlaufend ergänzt und in andere Institutionen und Projekte verlinkt werden.
Wege der Forschung
Der Aufbau eines Digitalen Archivs jüdischer Autorinnen und Autoren in Berlin 1933–1945 (DAjAB) reagierte bei Projektbeginn im Frühjahr 2014 auf einen Stand literaturwissenschaftlicher Forschung, der durch eine weitgehende Abwesenheit der Darstellung charakteristischer Entwicklungen literarischer Kultur von Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft in Deutschland nach 1933, …
Der Aufbau eines Digitalen Archivs jüdischer Autorinnen und Autoren in Berlin 1933–1945 (DAjAB) reagierte bei Projektbeginn im Frühjahr 2014 auf einen Stand literaturwissenschaftlicher Forschung, der durch eine weitgehende Abwesenheit der Darstellung charakteristischer Entwicklungen literarischer Kultur von Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft in Deutschland nach 1933, durch das Fehlen einer Reflexion über die Gründe einer verzögerten Rezeptionsgeschichte dieser Literatur von den Nachkriegsjahren bis in die 1990er Jahre sowie durch eine desolate Quellenlage in diesem Forschungsbereich gekennzeichnet war.
Bis heute wird die Geschichte deutschsprachiger Literatur der 1930er und beginnenden 1940er Jahre in jeder Vorlesung wie in fast allen einschlägigen Literaturgeschichten im Wesentlichen auf drei Säulen basierend dargestellt: der Literatur des Exils, der Literatur der sogenannten Inneren Emigration und der NS-Literatur. Über Jahrzehnte fortgeschrieben wurde damit zugleich das rezeptionsgeschichtliche Dilemma einer Mehrheit der ca. 1.700 deutschsprachigen Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft, die Nazi-Deutschland nach 1933 nicht oder zunächst nicht verlassen hatten: Aufgrund ihrer relativ isolierten Lage in einem abgegrenzten jüdischen Kulturkreis in Deutschland waren sie in den Nachkriegsjahren vielfach unbekannt, mit ihren Werken bisher kaum an eine größere Öffentlichkeit getreten – und hätten von dieser überhaupt erst entdeckt werden müssen.
Eine über Jahrzehnte vorherrschende Ausblendung der kaum marginal zu nennenden Entwicklungen deutsch-jüdischer Literatur im NS-Deutschland ist Teil der politischen wie kulturellen Nachkriegsentwicklung beider deutscher Staaten und partiell auch der Vereinigten Staaten und Palästinas bzw. Israels. Erkennbar verschränkten sich in den disparaten Haltungen der damals Beteiligten zentrale politische und kulturpolitische Debatten der letzten Kriegs- und Nachkriegsjahre um Exil und Innere Emigration, um die Auseinandersetzung mit dem Faschismus und die Verantwortung an den Verbrechen des Krieges, um politische und kulturelle Traditionsbildungen sowie um Ansätze einer politischen, kulturellen und literarischen Neuorientierung. Was sie im Rückblick jedoch vor allem offenbaren, sind die nicht geführten Debatten und blinden Flecke in einem gesellschaftlichen Erinnerungsdiskurs. Zerrieben zwischen konträren politischen, kulturpolitischen wie künstlerisch-ästhetischen Interessen und mit einem noch immer virulenten Antisemitismus im Nachkriegsdeutschland konfrontiert, fiel das literarische und künstlerische Schaffen der nach 1933 in Deutschland gebliebenen Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft zunächst durch alle Raster.
Durch nationale und internationale Forschungen wurden bis in die Gegenwart Dokumentationen und Geschichtsdarstellungen zu Verfolgung, Vertreibung und schließlich zur Vernichtung der Juden in der Zeit des Nationalsozialismus, Arbeiten über den Antisemitismus, zum Leben der Juden unter nationalsozialistischer Herrschaft, zu deren Kampf um Selbstbehauptung und Widerstand in größerem Umfang vorgelegt. Seit Ende der 1970er Jahre erschienen verstärkt Bibliographien, materialreiche Studien und Überblicksdarstellungen zu Institutionen sowie zu den weiteren Rahmenbedingungen literarischer Produktion und kultureller Aktivitäten der Juden in Deutschland nach 1933, speziell zum Jüdischen Kulturbund und dessen Theater, zu Verlagen und Presse. Insbesondere Volker Dahm leistete 1979 mit seiner Untersuchung über die Ausschaltung jüdischer Autoren, Verleger und Buchhändler und Salman Schocken und seinen Verlag sowie seinem 1988 veröffentlichten Beitrag zum Kulturellen und geistigen Leben in dem von Wolfgang Benz herausgegebenen Band über Die Juden in Deutschland 1933–1945 einen entscheidenden Schritt zur Aufarbeitung dieses Abschnitts literaturgeschichtlicher Entwicklung in Deutschland.
Richtete die historische Forschung seit den 1980er Jahren ihre Aufmerksamkeit zunehmend auch auf das innerjüdische Leben, ließ die Literaturwissenschaft diese Perspektive in Bezug auf die Analysen literarischer Texte zunächst noch weitgehend unbeachtet. Arbeiten über Ludwig Strauß von Hans-Peter Bayerdörfer (1982/1995) und später Hans Otto Horch (1994 u. a.), Ruth Dinesens Buch über Frühe Gedichte und Prosa der Nelly Sachs (1987) oder Silvia Schlenstedts vergleichsweise frühe Sicht auf die Dichterin Gertrud Kolmar im Kontext der Kulturarbeit deutscher Juden nach 1933 in Deutschland (1989) stehen exemplarisch für einen sich in den 1980er Jahren abzeichnenden und sich schließlich in den 1990er Jahren durchsetzenden Perspektivenwechsel in der literaturwissenschaftlichen Forschung. Die insgesamt auffällig späte Entdeckung des literarischen Werks von Gertrud Kolmar, einer der bedeutendsten Repräsentantinnen literarischen Schaffens jener Jahre, sowie dessen mehr als wechselhafte Publikationsgeschichte sind dafür ein weiteres sprechendes Indiz.
Ernst Loewy differenzierte schließlich bereits 1993 in seinem Aufsatz Zum Paradigmenwandel in der Exilliteraturforschung überraschend selbstverständlich literarhistorische Entwicklungen der Jahre nach 1933, indem er den allgemeinen Entwicklungen deutschsprachiger Literatur der 1930er und 1940er Jahre (zu Exilliteratur, zur Literatur der Inneren Emigration und des NS) eine Darstellung der literarischen Kultur deutscher Juden im nationalsozialistischen Deutschland als einen weiteren, vierten Teilbereich gleichberechtigt zur Seite stellte (vgl. Loewy 1993, 27). Er kennzeichnete diesen darüber hinaus als nach außen hin nicht so abgeschlossen, wie es die damals noch vergleichsweise streng getrennten Forschungen zu zeitgleichen Entwicklungen in der Exil- und in der innerdeutschen Literatur nach 1933 suggerieren konnten.
Darüber hinaus resümierte Saul Friedländer noch 1997 in seinem Buch Nazi Germany and the Jews. The Years of Persecution, 1933–1939 (dt. 1998), dass man in vielen wissenschaftlichen Darstellungen „die Opfer dadurch, daß man implizit von ihrer generellen Hoffnungslosigkeit und Passivität ausging oder von ihrer Unfähigkeit, den Lauf der zu ihrer Vernichtung führenden Ereignisse zu ändern“, diese „in ein statisches und abstraktes Element des historischen Hintergrundes verwandelt“ habe (Friedländer 2000, 12). Friedländer formulierte damit aus historischer Sicht einen methodischen Ausgangspunkt seiner Arbeit, der implizit auch den grundlegenden Ansatz des DAjAB darstellt und der mit einer „verstärkte[n] Hinwendung zum innerjüdischen Leben seit Anfang der 80er Jahre“ (Friedländer 2000, 12) beschrieben ist.
Nicht allein die 1992 eröffnete Ausstellung Geschlossene Vorstellung. Der Jüdische Kulturbund in Deutschland 1933–1941 in der Akademie der Künste in Berlin sowie die 1995 überraschend erfolgreiche Herausgabe der Tagebücher des Romanisten Viktor Klemperer („Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten“. Tagebücher 1933–1945) im Berliner Aufbau-Verlag hatten in den 1990er Jahren das gewachsene Interesse einer breiteren Öffentlichkeit an der Wahrnehmung der Judenverfolgung auch aus der Perspektive der Verfolgten signalisiert. Insbesondere die literaturwissenschaftlichen Arbeiten der Kolmar-Forschung sowie die umfassenden Untersuchungen von Saskia Schreuder (2002), Kerstin Schoor (seit 1998), Friedrich Voit (1998, 2005 u.a.) und anderen WissenschaftlerInnen reagierten in den letzten Jahrzehnten verstärkt auf die Beobachtung, dass „bedeutende Forschungsergebnisse zur antisemitischen Literaturpolitik des NS-Regimes einerseits und zur verlegerischen Tätigkeit von Juden im Deutschland der 1930er Jahre andererseits“ zwar vorlagen, die Untersuchungen diese Texte jedoch „ausschließlich als Verlagsprodukte [berücksichtigten], ohne deren literarischen Sachgehalt zu würdigen“ (Schreuder 2002, 2). Sie ließen die verfolgten SchriftstellerInnen, KünstlerInnen und Intellektuellen jüdischer Herkunft als Träger und Akteure einer literarischen Kultur sui generis sichtbar werden – natürlich immer in dem Bewusstsein von deren engen zeitlichen, politischen und inhaltlichen Begrenzungen.
Anknüpfend an diese Forschungen, versteht sich das DAjAB daher aus wissenschaftlicher Perspektive als ein notwendiges Element der empirischen Grundlagenforschung. Anliegen ist es, in den Darstellungen literarhistorischer Entwicklungen deutschsprachiger Literatur der 1930er und 1940er Jahre der Exilliteratur, der Literatur der Inneren Emigration und der NS-Literatur die Quellen literarischer Kultur deutschsprachiger Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft im NS-Deutschland am Beispiel Berlins gleichberechtigt zur Seite zu stellen.
Quellenlage
Archive wie das Leo Baeck Institut (New York, Jerusalem, London, Berlin), das Münchner Institut für Zeitgeschichte, die Internationale Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem in Israel, das Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin, die Deutsche Nationalbibliothek (Frankfurt am Main, Leipzig) und zahlreiche andere Institutionen sammeln dabei aus historischer Perspektive zu dem vom DAjAB fokussierten Zeitraum. …
Archive wie das Leo Baeck Institut (New York, Jerusalem, London, Berlin), das Münchner Institut für Zeitgeschichte, die Internationale Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem in Israel, das Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin, die Deutsche Nationalbibliothek (Frankfurt am Main, Leipzig) und zahlreiche andere Institutionen sammeln dabei aus historischer Perspektive zu dem vom DAjAB fokussierten Zeitraum. Ansätze breiter ausgerichteter Sammlungsbemühungen waren zudem bereits bei der Erstantragstellung des DAjAB 2013 erkennbar. Im September 2012 hatte das Deutsche Literaturarchiv Marbach (DLA) eine Koordinationsstelle eingerichtet, die die forschungsbezogene Erschließung bis dato noch unerschlossene Bestände von jüdischen SchriftstellerInnen, WissenschaftlerInnen und Intellektuellen aus Mitteleuropa gewährleisten sollte, die während und nach der NS-Zeit nach Palästina/Israel emigrierten bzw. deren Nachlässe sich heute in Israel befinden. An der Freien Universität Berlin wird seit Ende 2012 der Aufbau einer Sammlung der in Deutschland nach 1933 in jüdischen Verlagen veröffentlichten Bücher jüdischer Autorinnen und Autoren von der Philologischen Bibliothek mit Unterstützung der Siemens Stiftung realisiert. Yad Vashem hat eine Forschungsabteilung zum jüdischen Leben im NS-Deutschland eingerichtet. Am Leibniz Institut für Jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow in Leipzig setzt die Jacob Toury-Bibliothek einen ausgewiesenen Schwerpunkt in „der Geschichte der nationalsozialistischen Judenverfolgung und des Holocaust“ usf. Seit Ende der 1970er Jahre waren bereits erste Bibliographien, materialreiche Studien und Überblicksdarstellungen zu ausgewählten Rahmenbedingungen der literarischen Produktion, speziell zum Jüdischen Kulturbund im NS-Deutschland und dessen Theater, zu jüdischen Verlagen und zur jüdischen Presse erschienen.
Dennoch drohen noch immer wertvolle Materialien und Dokumente, einschließlich der Nachlässe zahlreicher Autorinnen und Autoren und ihre vielfach seit 1945 nicht wieder aufgelegten Bücher und andere zeitgenössische Publikationen, für Forschung und Lehre ebenso wie für eine größere Öffentlichkeit verloren zu gehen.
Die Bestände internationaler Archive und Bibliotheken, die in ihren Sammlungsbemühungen nicht selten den Forschungsbewegungen folgen, spiegeln den Sachverhalt in einer nach wie vor ausstehenden systematischen archivarischen wie bibliothekarischen Aufbereitung dieses thematischen Schwerpunkts. Die desolate Bestandssituation der überlieferten Drucke und der unbefriedigende Forschungsstand verweisen dabei – als wissenschaftlicher Ausgangspunkt des DAjAB – auf die Notwendigkeit:
- der Sicherung und Bereitstellung der nach dem Krieg nicht wieder aufgelegten Primärliteratur,
- der Aufarbeitung und Bereitstellung grundlegender bio-bibliographischer Materialien zum literarischen Schaffen und Leben der Autorinnen und Autoren,
- der Sicherung von Nachlassmaterialien,
- der thematischen Zentralisierung wissenschaftlicher wie archivarischer und bibliothekarischer Bemühungen auf diesem thematischen Feld.
Der Axel Springer-Lehrstuhl für deutsch-jüdische Literatur- und Kulturgeschichte, Exil und Migration reagierte darauf mit dem Aufbau eines Digitalen Archivs jüdischer Autorinnen und Autoren in Berlin 1933–1945 (DAjAB) an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) und setzt damit seine Bemühungen um die Dokumentation der kulturellen und schriftstellerischen Arbeit jüdischer Autorinnen und Autoren im NS-Deutschland auf virtueller Ebene fort.